Können die vielfältigen Funktionen des menschlichen Gehirns durch ein einheitliches Modell beschrieben werden?
Forschungsbericht (importiert) 2018 - Max-Planck-Institut für Hirnforschung
Das Gehirn ist mit seinen neuronalen Netzwerken in der Lage, Berechnungen wie Normalisierung, Informationsspeicherung und Rhythmusgenerierung durchzuführen. Bisher wurden unterschiedliche mathematische Modelle entwickelt, um diese Berechnungen nachzuahmen. Ausgehend vom stabilisierten supralinearen Netzwerk (SSN) als Grundmodell konnten wir zeigen, dass dieses Netzwerk mehrere Berechnungen gleichzeitig durchführen kann. Dies deutet auf die Möglichkeit hin, eine einheitliche Theorie der kortikalen Funktion zu formulieren.
Einleitung
Das menschliche Gehirn verfügt über Netzwerke synaptischer Verbindungen, die in der Lage sind, rechnerische Aufgaben durchzuführen. Um solche neuronalen Netzwerke besser zu verstehen, bilden Forscher Modelle, die diese Netzwerke mathematisch darstellen. Dies kann eine große Herausforderung sein, da es sich hierbei um nichtlineare Modelle handelt. Die bisherigen neuronalen Modelle untersuchen jeweils nur eine biologische Funktion, wie zum Beispiel das menschliche Arbeitsgedächtnis. Das „Stabilisierte Supralineare Netzwerk“ (SSN) hat sich als geeignetes Modell für die Erforschung der Reizintegration im visuellen Cortex etabliert, da es rechnerische Phänomene wie Normalisierung, Kontrastinvarianz und Signalunterdrückung nachbilden kann [1]. Unser Interesse galt der Frage, ob ein Netzwerkmodell mehrere Funktionen gleichzeitig generieren kann. Hierfür benutzten wir das SSN-Modell als Ausgangspunkt und untersuchten damit drei Funktionen des Gehirns: Arbeitsgedächtnis, Entscheidungsprozesse und Aufmerksamkeit.
Das SSN-Modell unterstützt zwei stabile Zustände
Die Fähigkeit eines Netzwerkes, zwei stabile Zustände zu unterstützen, ist Voraussetzung für die mathematische Darstellung des menschlichen Erinnerungsvermögens [2]. Um festzustellen, ob das SSN-Modell diese Bistabilität unterstützen kann, erweiterten wir es um eine Aktivierungsfunktion mit Potenzgesetz, die kortikale Neuronen in vivo adäquat simuliert. Auch andere Netzwerkmodelle nutzen weitere Aktivierungsfunktionen, wie zum Beispiel die sogenannte Sigmoidfunktion des Wilson-Cowan Modells, in dem bis zu fünf stationäre Zustände koexistieren können [3]. Wir fanden heraus, dass das Stabilisierte Supralineare Netzwerk zwei stabile Zustände beinhalten kann, ohne dass eine S-Aktivierungsfunktion oder nicht-lineare synaptische Übertragungen benötigt werden.
Entscheidungsprozesse im menschlichen Gehirn stehen in engem Zusammenhang mit Schwankungen der neuronalen Aktivität [4]. Wir haben daher ebenfalls analysiert, ob das SSN Modell globale Oszillationen unterstützen kann. Dabei entdeckten wir nicht nur, dass das SSN Modell die Rhythmusgenerierung unterstützt, sondern konnten auch feststellen, welche synaptischen und neuronalen Parameter geändert werden müssen, um die Oszillationsfrequenz zu steuern.
Die Forschung unserer Arbeitsgruppe hat gezeigt, dass das Stabilisierte Supralineare Netzwerk Modell sowohl kognitive Aufgaben als auch Gedächtnisfunktionen unterstützen kann, indem es globale Oszillationen, Bistabilität und Persistenz gleichzeitig bearbeitet [5]. Das Bemerkenswerte ist, dass die Vielfältigkeit des Modelles nicht durch synaptische Plastizität oder spezifische Ionenkanalmodelle entsteht, sondern nur durch die Einführung unterschiedlicher neuronaler Parameter. Dies ist für die aktuelle Forschung von besonderer Relevanz, da es eine einheitliche Theorie der kortikalen Funktion unterstützt, in der grundlegende Berechnungen über ein einziges neuronales Netzwerk Modell verfügen.
Literaturhinweise
PloS Computational Biology 7 (2011)
Annual Review of Physiology 55, 349-374 (1993)