Cécile Vogt: Gender, Politik und die Wahrnehmung von Exzellenz in den Neurowissenschaften

Eine Podiumsdiskussion zur kürzlich erschienenen Biografie von Cécile Vogt, Pionierin der Hirnforschung und Mitgründerin des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Hirnforschung

7. Juli 2022

Die Neurowissenschaftlerin Cécile Vogt (1875-1962) zählt zu den bedeutenden Wegbereiterinnen für Karrieren von Frauen in der Wissenschaft und ist nach ihrem Tod zu Unrecht in den Schatten ihres Mannes, Oskar, ebenfalls Neurowissenschaftler, gerückt. Gender und Politik in der deutschen Wissenschaft waren einige der Themen einer Podiumsdiskussion, die am 4. Juli am MPI für Hirnforschung stattfand. Das Gespräch mit den Professoren Erin Schuman und Gilles Laurent, beide Direktoren am Institut (und übrigens auch miteinander verheiratet), mit Birgit Kofler-Bettschart, der Autorin der Biographie von Cecile Vogt, und mit dem emeritierten MPI-Direktor Professor Heinz Wässle, der viel über die Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft geschrieben hat, wurde von der Wissenschaftsjournalistin Regina Oehler moderiert.

Auf der Leinwand des Hörsaals des MPI für Hirnforschung lief eine Diashow mit Bildern aus dem Leben und Lebenswerk von Cécile und ihrem Mann, Oskar Vogt. Ein Foto zeigte Cécile und Oskar in einer Ecke ihres Labors, Cécile rechte Hand ruht auf einem großen Mikrotom, einem Gerät, mit dem sich Gehirne in hauchdünne Scheiben für die Mikroskopie schneiden lassen. Kein Jahrzehnt später gründete Cécile zusammen mit ihrem Mann das größte und modernste Hirnforschungsinstitut der Welt, das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch. Oskar wurde Direktor, Cécile immerhin Abteilungsleiterin und wurde ein wissenschaftliches Mitglied der Kaiser-Wilhelm Gesellschaft, allerdings nie Direktorin. Beide wurden für ihre Arbeiten zur Hirnanatomie immer wieder für den Nobelpreis vorgeschlagen, beide waren Mitglieder renommierter Akademien wie der Leopoldina. „Doch nach Oskars Tod wurden vor allem in Deutschland nur noch seine Leistungen gewürdigt. Cécile wurde aus der Wahrnehmung gedrängt.“ Dieses Resümee ist in der Biographie Cecile Vogts zu lesen, die die österreichische Autorin Birgit Kofler-Bettschart gerade nach aufwändigen Recherchen vorgelegt hat.

Cécile Vogt war eine brillante Wissenschaftlerin, zog aber auch drei Töchter auf, die auch hervorragende Wissenschaftlerinnen wurden. „Cécile war ihrer Zeit voraus. Sie erkannte die Herausforderungen von Wissenschaftlerinnen im Alltag und organisierte Unterstützung für Kolleginnen im Labor z.B. in Form von Entlastung beim Haushalt“, so Erin Schuman. Auch war Cécile eine politisch engagierte Zeitgenossin, die sich für den Pazifismus einsetzte. Dabei unterstützten Rüstungskonzerne der deutschen Regierung die Forschung der Vogts finanziell: „Wie passt es zusammen, dass sich mehrere Mitglieder der Familie Krupp für das unkonventionelle Forscherpaar mit sehr klaren Sympathien für die politische Linke, für pazifistische und antinationalistische Organisationen begeistern können? Und wie kann es umgekehrt sein, dass, Cécile und Oskar keinerlei Berührungsängste hatten Krupps Rüstungsgelder für ihre Forschungsvorhaben zu verwenden? Das ist nicht einfach nachvollziehbar“, schreibt Kofler-Bettschart.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialsten in 1933 wird die Lage für Cécile und Oskar Vogt immer schwieriger. Ende 1936 - Anfang 1937 verließen die Vogts das Institut, das sie ein Leben lang in Berlin-Buch aufgebaut hatten, und gründeten ein privates Institut für Hirnforschung und allgemeine Biologie in Neustadt im Schwarzwald. An den Verbrechen ihrer Nachfolger am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung, die aktiv bei ‚Euthanasie‘-Aktionen mitarbeiteten, um an den Gehirnen ermordeter Kinder und Erwachsener forschen zu können, um an Gehirnen ermordeter Kinder und Erwachsener zu arbeiten, waren Cécile und Oskar nicht beteiligt.

Die Lebensgeschichte Cécile Vogts und der Umgang mit ihrem unbekannten Erbe wirft Schlaglichter auf Fragen, die heute drängend aktuell sind: Warum werden die Leistungen von Wissenschaftlerinnen oft noch immer nicht anerkannt, ignoriert oder vergessen und wieso werden sie nicht stärker in die Wissenschaftspolitik einbezogen? Sollten Wissenschaftler*innen in Krisenzeiten eine klare Position beziehen? Wie sollte das Erbe von Wissenschaftler*innen nach deren Tod behandelt und betrachtet werden? Dies sind nur einige der komplexen Fragen, die auf dem Podium diskutiert wurden.

Text: Regina Oehler und Irina Epstein

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