Die Bausteine der Kommunikation in unserem Gehirn

Forschungsbericht (importiert) 2023 - Max-Planck-Institut für Hirnforschung

Autoren
Erin Schuman, Julian Langer
 
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main
DOI
Zusammenfassung
Unser Gehirn besteht aus einem komplexen Netzwerk aus Nervenzellen, in dem die Nervenzellen miteinander über Synapsen kommunizieren. Wir untersuchen, welche Proteine an diesen Synapsen eingesetzt werden und wie sich verschiedene Nervenzellen und Synapsen voneinander unterscheiden. Unsere Erkenntnisse helfen uns die molekularen Grundlagen der Kommunikation in unserem Hirn zu verstehen, die essentiell sind für alle Fähigkeiten unseres Gehirns und die z.B. in neurodenerativen Erkrankungen oder im Alter gestört werden können.

Einleitung

Unser Gehirn besteht aus mehr als 100 Milliarden Nervenzellen („Neuronen“), die für alle unsere kognitiven und gefühlsbezogenen Fähigkeiten verantwortlich sind. Diese Neuronen haben abhängig von ihrer Position und Funktion ganz unterschiedliche Eigenschaften: Sie empfangen und versenden Signale und können diese verstärken, unterdrücken oder verändern bzw. umwandeln. Jedes Neuron arbeitet dafür als Schalteinheit in einem hoch verbundenen Netzwerk – es kann mit ein paar Dutzend bis mehreren Tausend anderen Nervenzellen in direktem Kontakt stehen und Signale austauschen.

Die Signalübertragung erfolgt dabei an kleinen, hoch spezialisierten Kontaktpunkten: sogenannten „Synapsen“. Synapsen stellen die kleinste Recheneinheit in unserem Hirn dar. Sie müssen in der Lage sein, Signale schnell und zuverlässig zu übertragen, und sie müssen sich anpassen können, wenn sich die Signalweiterleitung ändern soll. Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass viele neurodegenerative Erkrankungen auf Prozesse zurückzuführen sind, die direkt an Synapsen stattfinden oder die Signalweiterleitung an Synapsen beeinflussen.

Unsere Forschung

In der Abteilung für Synaptische Plastizität untersuchen wir, wie Neuronen über Synapsen miteinander kommunizieren, welche Proteine sie verwenden, wie sie diese z.B. während Lernprozessen anpassen und welche Fehler sich bei verschiedenen Krankheiten einschleichen. Wir waren dabei besonders interessiert daran, das „synaptische Repertoire“ einzelner Klassen von Nervenzellen in unterschiedlichen Hirnregionen zu bestimmen: Welche Proteine werden dort verwendet? Wie sehr unterscheiden sich verschiedene Klassen von Synapsen, wie z.B. verstärkende („exzitatorische") und hemmende („inhibitorische“) Synapsen? Und ist eine exzitatorische Synapse in einem Bereich des Hirns vergleichbar mit einer exzitatorischen Synapse in einem anderen Bereich?

Um diese Fragen zu beantworten, haben wir genetische, biochemische und biophysikalische Tricks angewendet: Zunächst haben wir die entsprechenden Neuronen und ihre Synapsen in transgenen Tieren so markiert, dass nur die Neuronen, die uns interessieren, einen fluoreszenten Farbstoff produzieren. Damit konnten wir die entsprechenden Zellen - und ihre Synapsen - aus den anderen Milliarden Nervenzellen herausfischen. Dabei haben wir die Synapsen zunächst biochemisch aufgetrennt und dann über Fluoreszenz die für uns interessanten Synapsen herausgesucht. Um dann die Zusammensetzung der Proteine in einer Synapse zu untersuchen, haben wir die Proteine in kleinere, für uns gut messbare Segmente geschnitten und mit einem Massenspektrometer analysiert. Dieses Verfahren erlaubt es uns, tausende von Proteinen über ihr molekulares Gewicht separat zu identifizieren und ihre Anzahl zu bestimmen: Wir bekommen damit ein genaues Bild davon, welche Proteine in einer Synapse vorliegen, und können vergleichen, wie sich unterschiedliche Arten von Synapsen unterscheiden – und welche Proteine für die neuronale Kommunikation eingesetzt werden oder diese regulieren.

In unserer aktuellen Studie haben wir so 18 verschiedene Arten von Synapsen aus insgesamt fünf verschiedenen Hirnregionen untersucht. Wir haben dabei die Verteilung von ca. 2300 Proteinen an Synapsen erfassen und über 1800 verschiedene Proteine identifizieren können, die in bestimmten Synapsen-Typen angereichert sind. Diese detaillierte Analyse ermöglicht es uns nun, zu untersuchen, wie Neuronen unterschiedliche Formen der Signalweiterleitung und Signalverarbeitung auf molekularer Ebene umsetzen. Während es für einige dieser Synapsen-Typen schon Vorkenntnisse zur synaptischen Zusammensetzung gab, konnten wir das bekannte „synaptische Repertoire“ für manche Synapsen-Typen mehr als verdoppeln. So haben wir z.B. exzitatorische und inhibitorische Synapsen untersucht, die genau entgegengesetzte Aufgaben haben. Wir haben dabei sowohl Proteine gefunden, die an allen Synapsen gleichermaßen vorkommen, als auch Proteine, die exklusiv sind für bestimmte Arten von Synapsen und womöglich für deren spezialisierte Funktionen verantwortlich sind.

Zusätzlich zu diesen grundlegenden Erkenntnissen liefert unsere Studie auch Ergebnisse, die für die Diagnose oder Behandlung von Krankheiten verwendbar sein können. So ist zum Beispiel bekannt, dass dopaminerge Synapsen besonders im hohem Alter eine hohe Sensitivität für oxidativen Stress besitzen. Die molekulare Ursache dafür war bis heute nicht bekannt. Wir haben in unseren Daten nun gefunden, dass genau an diesen Synapsen das Protein „Oxr1“ fehlt, ein Protein, das bekannterweise gegen oxidativen Stress schützt. Dies könnte eine direkte Erklärung für die Anfälligkeit sein, die gerade bei neurodegenerativen Krankheiten eine große Rolle spielt – eine Erkenntnis, die vielleicht künftig für Diagnose oder Therapie wichtig werden kann.

Literaturhinweise

Van Oostrum, M.; Blok T.M.; Giandomenico S.L.; Tom Dieck S.; Tushev G.; Fürst N.; Langer J.D.; Schuman E.M.
The proteomic landscape of synaptic diversity across brain regions and cell types.
Cell 186(24),5411-5427.e23 (2023)
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