Theoretische und experimentelle Analyse neuronaler Schaltkreise

Forschungsbericht (importiert) 2013 - Max-Planck-Institut für Hirnforschung

Autoren
Tchumatchenko, Tatjana; Letzkus, Johannes
Abteilungen
Theorie der neuronalen Netzwerkdynamik (Tatjana Tchumatchenko); Neokortikale Schaltkreise (Johannes Letzkus)
Zusammenfassung

Das Gehirn ist das mit Abstand komplexeste System, das wir kennen. Am MPI für Hirnforschung verwenden zwei neue Forschergruppen komplementäre Ansätze, um die Funktion neuronaler Schaltkreise besser zu verstehen: Tatjana Tchumatchenko’s Gruppe nutzt theoretische Ansätze zur Erforschung neuronaler Informationskodierung. Johannes Letzkus‘ Team verwendet experimentelle Ansätze wie 2-Photonen-Mikroskopie und Optogenetik, um aufzuklären, welche Aktivitätsmuster in neokortikalen Schaltkreisen bei verschiedenen Verhaltensmustern auftreten und wie diese Aktivität das Verhalten des Tiers beeinflusst.

 

Einleitung

Die Erforschung des Gehirns hat in den letzten Jahrzehnten in einigen Bereichen große Fortschritte erzielt: So haben wir aktuell ein gutes Verständnis davon, in welchen Hirnregionen bestimmte Funktionen lokalisiert sind. Parallel dazu wurde die Physiologie und Biochemie einzelner Nervenzellen sehr detailliert charakterisiert. Im Gegensatz dazu wissen wir noch immer sehr wenig darüber, wie neuronale Schaltkreise – Zusammenschlüsse von Neuronen unterschiedlicher Typen – funktionieren und Informationen verarbeiten. Die Analyse dieser Vorgänge im mesoskopischen Bereich – einem Größenbereich von einem Nanometer bis zu einem Mikrometer – wurde erst in den letzten Jahren durch technische Fortschritte ermöglicht und ist heute ein zentrales Gebiet der Neurowissenschaften. Die Gruppen von Tatjana Tchumatchenko und Johannes Letzkus am Max-Planck-Institut für Hirnforschung verwenden sich ergänzende Ansätze, um fundamentale Funktionen neuronaler Schaltkreise zu verstehen.

Die Gruppe von Tatjana Tchumatchenko hat ihren Fokus auf der theoretischen Modellierung und der mathematischen Analyse der einzelnen Neuronen und der dynamischen Eigenschaften der neuronalen Netzwerke. Die Gruppe benutzt analytische Methoden und Computersimulationen, um zu untersuchen, wie Neuronen die eingehenden Reize repräsentieren, wie sie interagieren und wie daraus dynamische Schaltkreise entstehen. Auf der Methodenseite liegt ihr Schwerpunkt auf den linearen und nicht linearen Differentialgleichungen, mehrdimensionalen stochastischen Integralen und der Informationstheorie.

Eine wichtige Eigenschaft der neuronalen Aktivität zeigt die Beobachtung, dass die Aktivität mehrerer Neuronen untereinander einer feinen zeitlichen und räumlichen Koordination unterliegt. Wie genau die Koordination zustande kommt und welche Parameter sie beeinflussen, ist Gegenstand der Forschung. In einer Reihe aktueller Arbeiten hat sich Tatjana Tchumatchenko die Frage gestellt, wie gut die Koordination digitaler Spike-Muster von Neuronenpaaren (siehe Abb. 1) – d. h. die Abfolge ihrer Aktionspotenziale – sich durch die Schwellenübertritte eines Gauß´schen Zufallsprozesses darstellen lassen [1; 2; 3]. Die Arbeiten haben gezeigt, dass dieses Modell die neuronale Koordination nicht nur gut beschreibt, sondern sich auch durch kompakte mathematische Ausdrücke vollständig beschreiben lässt. Das Ziel der Gruppe ist es, die gewonnenen theoretischen Ergebnisse ebenfalls mit Hilfe experimenteller Daten zu verifizieren oder zu falsifizieren. Die Gruppe ist daher im direkten Austausch mit den experimentell arbeitenden Kollegen am MPI für Hirnforschung, die mit intrazellulären Einzell- oder Mehrzellableitungen arbeiten.

Experimentelle Analyse neokortikaler Schaltkreise

Eine fundamental wichtige Eigenschaft von neuronalen Schaltkreisen ist, dass sie aus vielen unterschiedlichen Typen von Neuronen zusammengesetzt sind, welche mutmaßlich auch sehr unterschiedliche Funktionen bei der Informationsverarbeitung erfüllen. Allerdings sind diese spezifischen Funktionen aus technischen Gründen bis jetzt kaum verstanden. Das Team um Johannes Letzkus untersucht, wie die Aktivität in verschiedenen Neuronentypen zu Hirnfunktionen wie Lernen und Aufmerksamkeit beiträgt. Dazu verwenden die Wissenschaftler eine kürzlich entwickelte Kombination aus transgenen Mauslinien und viralen Vektoren [5; 6], um verschiedene Neuronentypen zu identifizieren (Abb. 2). In Kombination mit 2-Photonen-Mikroskopie [7] macht dieser Ansatz es möglich, die Aktivitätsmuster der unterschiedlichen Neuronentypen in verschiedenen Verhaltensbeispielen aufzunehmen (Abb. 3). Das gibt Aufschluss darüber, ob der untersuchte Neuronentyp für das Verhalten des Tieres eine Rolle spielen könnte.

Zum Beispiel haben haben die Forscher vor kurzem gefunden, dass bestimmte inhibitorische Interneurone im auditorischen Kortex gehemmt werden, wenn das Tier lernt [8]. Um von dieser korrelativen Analyse zu kausalen Zusammenhängen zu kommen, verwenden sie die Optogenetik [9], eine Technik, die es ermöglicht, die Aktivität von definierten Neuronentypen mittels Licht fernzusteuern (Abb. 4). Im erwähnten Beispiel benutzten sie eine optogenetische Aktivierung jener Zellen, welche während des Lernvorgangs inhibiert waren. Dies führte dazu, dass sich das Tier kaum an das Gelernte erinnern konnte, dass also der Lernvorgang gestört wurde. Daher steht die Hemmung dieser Interneurone in kausalem Zusammenhang zum Lernen des Tiers [8]. Neben der Beantwortung grundlegender wissenschaftlicher Fragen ist diese Forschung auch durch das Ziel motiviert, die Basis von Erkrankungen wie Angststörungen und Aufmerksamkeitsstörungen wie ADHD besser zu verstehen.

Literaturhinweise

1.
Tchumatchenko T.; Wolf, F.
Representation of dynamical stimuli in populations of threshold neurons
Computational Biology 7 (epub ahead of print: DOI 10.1371 (2011)
2.
Tchumatchenko, T.; Malyshev, A.; Geisel, T.; Wolf, F.
Correlations and synchrony in threshold neuron models
Physical Review Letters 104, 058102 (2010)
3.
Di Bernardino, E; Leon, J. R.; Tchumatchenko, T.
Cross-correlations and joint Gaussianity in multivariate level crossing models
Journal of Mathematical Sciences, in press
4.
Taniguchi, H.; He, M.; Wu, P.; Kim, S.; Raik, R.; Sugino, K.; Kvitsani, D.; Fu, Y.; Lu, J.; Lin, Y.; Miyoshi, G.; Shima, Y.; Fishell, G.; Nelson, S.B.; Huang, Z.J.
A resource of cre driver lines for genetic targeting of GABAergic neurons in cerebral cortex
Neuron 71, 995 (2011)
5.
McCown, T. J.
Adeno-associated virus (AAV) vectors in the cns
Current Gene Therapy 11, 181-188 (2011)
6.
Denk, W.; Strickler, J. H.; Webb, W.W.
Two-photon laser scanning fluorescence microscopy
Science 248, 73-76 (1990)
7.
Letzkus,J. J.; Wolff, S.; Meyer, E.M.M.; Tovote, P.; Courtin, J.; Herry, C.; Lüthi, A.
A disinhibitory microcircuit for associative fear learning in the auditory cortex
Nature 480, 331-335 (2011)
8.
Zhang, F.; Wang, L.P.; Brauner, M.; Liewald, J.F.; Watzke, K.K.; Wood, P.G.; Bamberg, E.; Nagel, G.; Gottschalk, A.; Deisseroth, K.
Multimodal fast optical interrogation of neural circuitry
Nature 446, 633 (2007)
Zur Redakteursansicht